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Gedenken an Walter Vielhauer und die Befreiung des KZ Buchenwald vor 80 Jahren
Auf dem Heilbronner Hauptfriedhof gedachten am Grab von Walter Vielhauer am 11.4.2025, 80 Jahre nach der Selbstbefreiung des KZ Buchenwald, 30 Antifaschist*Innen an dessen Leben und Wirken.
Konrad Wanner, der Walter persönlich kannte, hielt folgende Rede (siehe unten). Anneliese Fleischmann-Stroh verkündete danach, dass es im nächsten Jahr einen Stolperstein für Walter Vielhauer geben soll. In drei Musikbeiträgen wurden die Leiden und der Mut der Widerständler*Innen gegen das Naziregime gewürdigt.
Hier die Rede von Konrad Wanner:
Ansprache zum Gedenken an Walter Vielhauer, 11. April 2025
auf dem Friedhof Heilbronn
Liebe Kolleg*innen, liebe Antifaschist*innen,
ich begrüße Euch im Namen des Freundeskreises Walter Vielhauer, der
VVN Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten und der Partei DIE
LINKE Kreis Heilbronn.
Oberbürgermeister Harry Mergel bedauert es, wegen eines auswärtigen
Termins heute nicht an unserer Gedenkfeier teilnehmen zu können.
Auch Herr Heier, der Leiter der Friedhofsverwaltung, entschuldigte sich.
Ihm danken wir für die Pflege von Walters Grabstätte.
Unser Gedenken wird heute wieder von Silke Ortwein musikalisch
umrahmt. Sie vertritt die Kulturgruppe DIE MARBACHER, die im letzten
Jahr auf 50 Jahre Engagement zurückblicken konnte. 50 Jahre, in denen
Ihr die Kämpfe der Friedensbewegung, der Gewerkschaften, der
antifaschistischen Gruppen und der Naturfreunde mit Euren
kämpferischen Liedern begleitet habt. Und seit einigen Jahren setzt Ihr
Euch mit dem Lied zu Walter Vielhauer für eine Würdigung seines
Wirkens in Heilbronn ein. Stellvertretend vielen Dank Silke für Eure
Solidarität.
Ich begrüße besonders Frau Fritz-Kador von der Rhein-Neckar-Zeitung.
Bei Ihnen bedanke ich mich im Namen des Freundeskreises für Ihr
Engagement für eine andere Erinnerungskultur in Heilbronn. Besonders
freut uns, dass es in der jüngeren Generation wieder ein Interesse an
Walter Vielhauer gibt. Bei Instagram veröffentlicht der Arbeitskreis
„Heilbronn von unten“ Videos zu Rose und Gottlob Feidengruber sowie
zu Walter Vielhauer. Und das Netzwerk gegen Rechts zeigt von
Karfreitag 18.4. bis zum 1. Mai die Walter-Vielhauer-Ausstellung in der
Käthe. Wir bedanken uns beim Oberbrürgermeister, der VVN-Bund der
Antifaschisten und der LINKEN Heilbronn für das Blumengesteck auf
Walters Grab.
Das Frühjahr 2025 steht unter dem Zeichen des Gedenkens an die
Befreiung Europas von Krieg und Faschismus durch die Armeen der vier
Alliierten und die vielen Widerstands- und Befreiungsorganisationen in
Europa. Das faschistische Deutschland hat in einem mörderischen Krieg
in allen europäischen Ländern den Tod von zig Millionen Menschen
verursacht. Dazu kamen Millionen Verletzte auf den Schlachtfeldern, in
den zerbombten Städten, in Konzentrationslagern und in Zuchthäusern –
die sowohl körperliche als auch seelische Wunden ihr ganzes Leben
lang mit sich trugen. Zahlreiche Städte wie auch das alte Heilbronn
waren vollständig zerstört, Volkswirtschaften lagen am Boden – alles
dem Wahn des deutschen Militarismus geopfert, der sich zum zweiten
Mal nach 1914 daran machte, dieses Mal in seiner faschistischen
Ausprägung, Europa ins Verderben zu stürzen.
Unsere Gedenkfeier haben wir in diesem Jahr bewusst auf den 11. April
gelegt. Es war der Tag, an dem sich 1945, also vor 80 Jahren die
Häftlinge des KZ Buchenwald gegen die mörderischen SS-
Wachmannschaften erhoben. Es gelang der Widerstands-Organisation
mit erbeuteten Waffen, das Lager vor dem letzten Terrorakt der SS zu
befreien, die Räumung zu verhindern und der amerikanischen Armee die
Betreuung des Lagers mit immer noch über 20.000 Häftlingen zu
übertragen. Es ist eines der herausragendsten Ereignisse des
Widerstandes gegen den Hitlerfaschismus in Deutschland. Ein Regime,
das über sechs Millionen jüdische Menschen, zahllose politische Gegner
vor allem aus KPD, SPD und Gewerkschaften, Christen und Menschen
anderer religiöser Anschauungen, Sinti und Roma sowie Menschen
anderer sexueller Neigungen folterte, ermordete sowie seelisch und
körperlich zerbrach. Während viele der Täter sich einer Strafe entziehen
konnten, ist es bis heute in zahlreichen Fällen noch nicht gelungen, den
Menschen des Widerstandes ein würdigendes Gedenken zu
verschaffen. Erst recht, wenn sie wie Walter Vielhauer eine
kommunistische Weltanschauung hatten. Die Kommunisten waren die
ersten, auch in Heilbronn, die von den Nazis verhaftet wurden. Martin
Niemöller hat in seinem bekannten Gedicht mit dem Schlusssatz
gewarnt: „Als sie mich holten, gab es keinen mehr, der protestieren
konnte.“
An dieser Stelle möchte ich an das besondere Verbrechen an den
Ostarbeitern sowie an den russischen und sowjetischen
Kriegsgefangenen erinnern. Auf dem Hintergrund der Naziideologie
wurden die Menschen in der Sowjetunion als slawisch-bolschewistische
"Untermenschen" betrachtet. Die Reichsregierung verfolgte das Ziel,
"Lebensraum im Osten" zu schaffen. Damit wurden weite Gebiete der
Sowjetunion wirtschaftlich ruiniert und die Bevölkerung ausgehungert,
vertrieben oder in Zwangsarbeit gebracht.
Als erste bekamen dies die sowjetischen Kriegsgefangenen zu spüren.
Bis 1941 starben innerhalb weniger Monate zwei Millionen der bis Ende
1941 gefangengesetzten weit über 3 Millionen Gefangene an
Auszehrung infolge ungenügender Essensrationen, mangelnder
medizinischer Betreuung und fehlenden Schutzes vor Hitze und Kälte.
Als der Angriffskrieg im Osten Ende 1941 ins Stocken geriet, wurden die
Kriegsgefangenen ins Deutsche Reich verfrachtet. Die schlechte
Behandlung und die Schwerstarbeiten besonders in der
Rüstungsindustrie und im Bergbau kosteten bis zum Kriegsende noch
weitere 1,3 Mio Soldaten ihr Leben.
Mit dem Krieg und dem Terror an der Zivilbevölkerung verursachten die
Nazis in der Sowjetunion 27 Millionen Tote. Kein russischer Krieg in der
Ukraine, keine Verbrechen unter Stalin oder andere von russischen
Machthabern verübten Kriege und Verhaftungen rechtfertigen, diese
geschichtlichen Tatsachen zu verschweigen.
Liebe Antifaschist*innen,
der Blick zurück auf das Leben und Wirken von Walter Vielhauer ist die
Würdigung seines äußerst engagierten Lebens. Geboren 1909 in
Reutlingen wächst Walter in Heilbronn auf. Mit 14 Jahren beginnt er eine
Ausbildung zum Silberschmied in der Firma Bruckmann, wo er sich der
Gewerkschaft DMV und der KPD anschließt. Im Herbst 1932 wird ihm
gekündigt, er wird arbeitlos.
Im März 1933 gehört er zur ersten Gruppe von etwa 60 Kommunisten,
die in Heilbronn verhaftet werden. Abgesehen von 4 Monaten im
Sommer 1933 bleibt Walter Vielhauer mehr als 11 Jahre während der
faschistischen Herrschaft inhaftiert. Zeitweise ist er in Einzelhaft, z.B. im
Zuchthaus Ludwigsburg, wird 1939 ins KZ Dachau gebracht und erlebt
seine schlimmste Zeit während den sechs Monaten im KZ Mauthausen,
wo die illegale Häftlingsorganisation nicht gegen die kriminellen
Strukturen der Häftlingsverwaltung ankommt.
Wieder zurück in Dachau wird Walter zusammen mit anderen
Widerstandskämpfern im Sommer 1944 zum Tode verurteilt. Aus Angst
vor Unruhen verlegt die SS ihn zusammen mit sechs Antifaschisten nach
Buchenwald – wo sie von der Widerstandsgruppe versteckt werden.
Nach einemLuftangriff auf die Waffenfabrik Gustloffwerke erhält Walter
die Identität eines toten französischen Häftlings. Er wird Kapo der
Effektenkammer, in der das jüdische Kind Stefan Jerzy Zweig vor der SS
versteckt wird. Am 6. Februar 2024 ist Jerzy im Alter von 83 Jahren
gestorben. Lange Zeit ist Willi Bleicher, der spätere Bezirksleiter der IGM
Stuttgart, in Buchenwald persönlich für den Schutz des kleinen jüdischen
Kindes verantwortlich. Als Willi Bleicher im Oktober 1944 im Weimarer
Polizeigefängnis schwerstens gefoltert wird und nicht mehr ins KZ
zurückgebracht wird, wird Walter Vielhauer die Betreuung Jerzys
übertragen. In dem Buch und dem Film „Nackt unter Wölfen“ wird diese
Heldentat gewürdigt. Zeit seines Lebens spricht Walter nie über seinen
persönlichen Anteil an der Rettung des jüdischen Kindes. Erst an seinem
Grab schildert Emil Carlebach Walters persönlichen Verdienst. In der
Literatur bleibt das aufgrund Walters französischer Identität bis heute
unerwähnt.
Mehr als 11 Jahre hat Walter Vielhauer in Gefängnissen und
Konzentrationslagern verbringen müssen. Der SS und den Nazis ist es
jedoch nicht gelungen, auch nicht mit körperlicher Gewalt und Folter, den
Gewerkschafter und Kommunisten zu brechen.
Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Heilbronn engagiert sich Walter
beim Wiederaufbau der Gewerkschaften und wird Mitbegründer der
ÖTV und der VVN, Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes. Die
amerikanische Militärverwaltung setzt ihn 1945 als Dezernenten bzw.
Bürgermeister für Wohnungswirtschaft, Arbeitsverwaltung und soziale
Angelegenheiten bei OB Beutinger ein. Ab 1948 Stadtrat der KPD in
Heilbronn, muss er 1958 aufgrund des KPD-Verbotes den Gemeinderat
wieder verlassen. Die alten Machtverhältnisse werden wieder hergestellt
– Walter findet in Heilbronn keine Arbeit. In Fulda kann er von 1957 bis
1964 in den Mehler-Werken arbeiten, die Dr. Walter Bauer gehören. Der
Heilbronner Unternehmer Walter Bauer, ein Mitstreiter der Bekennenden
Kirche und CDU-Mitglied, ist mit Walter Vielhauer befreundet und
ermöglicht ihm 1964 die Rückkehr nach Heilbronn durch eine Anstellung
in der Fa. Haakh. Es wäre angebracht, wenn sich die Heilbronner CDU
an diesen Teil ihrer Geschichte erinnern würde.
Bis zu seinem Tod am 19.4.1986 widmet sich Walter mit ganzer Kraft
dem Kampf für Frieden und gegen Hochrüstung, tritt immer wieder bei
Aktionen gegen alte und neue Nazis auf und engagiert sich ab 1968 in
der neu gegründeten DKP und in der VVN Bund der Antifaschisten und
Antifaschistinnen.
39 Jahre nach seinem Tod kämpfen wir immer noch um eine öffentliche
Würdigung des Lebens und Wirkens von Walter Vielhauer. Nachdem er
in dem vom Stadtarchiv Heilbronn im Jahr 2020 herausgegebenen Band
„Heilbronn 1933 ff.“ nicht erwähnt wird, beginnt sich die
Erinnerungskultur an Walter Vielhauers Widerstandszeit und seine
Inhaftierung zwischen 1933 und 1945 zu ändern. Am 3. April beschloss
der Heilbronner Gemeinderat, sieben Straßen, die Namen von in der
Nazizeit belasteten Menschen tragen, umzubenennen. Unter den acht
Namen von Opfern und Menschen des Widerstands ist auch Walter
Vielhauer aufgeführt. Wir begrüßen diesen Vorschlag ausdrücklich. Der
Stuttgarter Lehrer und Internetprotagonist Joo Peter hat in seinem
Internet-Projekt „Zeitsprünge“ sowie in dem Buch „Anpassung und
Widerstand“ schon vor vielen Jahren geschrieben:
„Walter Vielhauer war eine Legende des Heilbronner Widerstandes, war
fast 12 Jahre in Haft, die meiste Zeit davon im KZ. Immer wieder wurde
vorgeschlagen, einen Straßennamen in Heilbronn nach Walter Vielhauer
zu benennen.“ Wirfreuen uns, wenn den Absichtserklärungen seitens der
Verantwortlichen in Heilbronn in absehbarer Zeit Taten folgen. Wir
werden weiterhin um Walters Anerkennung und Würdigung kämpfen.
Besonders erfreulich ist, dass es auf Vorschlag von Anneliese
Fleischmann-Stroh die Verlegung eines Stolpersteins geben wird. Sie
wird noch ein paar Worte dazu sagen.
Liebe Antifaschist*innen,
wir erleben in jüngster Zeit die rasante Wiederbelebung des deutschen
Militarismus. Seit dem nicht zu akzeptierenden Überfall Russlands auf
die Ukraine erleben wir wieder einen Krieg in Europa mit erneut
zigtausenden von Toten. Alle, die sich für Frieden und Abrüstung
engagieren, stehen fassungslos vor der Zeitenwende, die daraufhin von
der Bundesregierung auf den Weg gebracht wurde. Diesen Krieg kann
man nicht mit noch mehr Waffen, mit noch mehr Kriegsgeschrei
beenden. Wie jeder Krieg steht auch am Ende dieses Krieges eine
Verhandlungslösung - warum hat der damalige britische Premierminister
Boris Johnson im April 2022 mit Duldung der NATO die hoffnungsvollen
Verhandlungen in Istanbul gestoppt?
Stattdessen verordnet der Bundesverteidigungsminister der Bevölkerung
Kriegstüchtigkeit. Nach dem am 27.2.2022 beschlossenen
Sondervermögen über 100 Milliarden für Aufrüstung haben der
Bundestag und Bundesrat vor drei Wochen ermöglicht, mit der
Beseitigung der Schuldengrenze weitere Billionen €uro für
Rüstungsvorhaben auszugeben. Gleichzeitig wird der Bevölkerung eine
gigantische Sparpolitik in Aussicht gestellt. Täglich werden den
Menschen in fast allen deutschen Medien die nächsten Schritte zur
Kriegsertüchtigung in die Köpfe gehämmert: Brücken, Schienen,
Straßen, Flughäfen sollen kriegstauglich werden. Ein grüner
Ministerpräsident will die baden-württembergische Rüstungsindustrie
forcieren, sein Innenminister will das Land für den Ernstfall vorbereiten
und die Rüstungsindustrie verzeichnet von Jahr zu Jahr neue
Rekordprofite. Und mit der Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen
ab 2026 in Deutschland wird die Unsicherheit in Europa noch weiter
forciert. Erst recht, weil deren atomare Bestückung möglich ist. Und das
alles, weil Russland 2029 Europäische NATO-Staaten angreifen will?
Russland hat mit dem Überfall auf die Ukraine den Krieg mit all seinen
Toten, Verletzten und Zerstörungen angefangen. Die NATO hat mit ihren
Verweigerungen zu Verhandlungen und gleichzeitigen gigantischen
Waffenlieferungen nichts zu dessen Ende beigetragen. Wenn US-
Präsident Trump und die USA zur Beendigung bereit sind, wäre das
doch der Zeitpunkt, die gigantischen Rüstungsvorhaben wieder
einzustellen, zu deren Begründung immer der Ukrainekrieg
herangezogen wird.
In dieser Situation ist unser Gedenken an Friedenskämpfer wie Walter
Vielhauer für uns Antifaschist*innen der Anlass, in seinem Vermächtnis
nicht nur an die Folgen von Aufrüstung und Krieg zu erinnern, wie sie die
Stadt Heilbronn mit der Zerstörung der Innenstadt am 4.12.1944 erlebt
hat. In seinem Sinne rufen wir auch dazu auf, sich in diesem Jahr
besonders zahlreich an den Ostermärschen und anderen Aktionen der
Friedensbewegung z beteiligen, so zum Beispiel am Ostersamstag ab 12
Uhr auf dem Stuttgarter Schlossplatz.
Die Forcierung militärischer Aufrüstung ist eng mit der Zurückdrängung
demokratischer Rechte und dem Erstarken rechtsextremer und
faschistischer Gruppen und Parteien verbunden. Die AfD ist keine
Friedenskraft. Sie steht in der schlimmsten Tradition des deutschen
Militarismus und fordert eine noch höhere Aufrüstung, wenn sie 5% des
Bruttoinlandsproduktes für Rüstung ausgeben will - das sind jährlich
etwa 250 Mrd. €
Meine Ansprache möchte ich mit dem Schwur von Buchenwald
beenden:
„Wir werden den Kampf erst aufgeben, wenn der letzte Schuldige vom
Gericht aller Nationen verurteilt ist. – Die endgültige Zerschmetterung
des Nazismus ist unsere Losung. Der Aufbau einer neuen Welt des
Friedens und der Freiheit ist unser Ideal.“
Und ich füge hinzu:
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!
Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit.
Konrad Wanner, 11. April 2025